Die Vorbereitung

Veröffentlicht am 30. Mai 2025 um 12:29

Zeit ist die kostbarste Währung, die wir in unserem Leben haben. Wir entscheiden, wofür wir sie eintauschen.

Mit Mitte dreißig hat sich die Sichtweise auf das Leben verändert. Man bekommt langsam eine Vorstellung davon, was Zeit, im Sinne von Lebenszeit, bedeutet und dass sie tatsächlich vergeht. Man hat mittlerweile Lebenszeit verbracht, investiert, und Früchte daraus geerntet. Man begreift langsam, wie kostbar sie ist und bekommt ein grobes Gefühl dafür, wie viel Zeit einem noch bleibt, wenn es gut läuft. Vielleicht ist das genau der richtige Moment um inne zu halten, und zu lauschen, was man eigentlich wirklich will. Zu diesem Zeitpunkt nochmal alles zu überdenken und seinem Leben nochmal einen verrückten Kick zu geben? Es ist genau der richtige Moment.

8 Monate vor Abreise - Ich musste es meinem Chef endlich sagen. Morgens an meinem Schreibtisch bereitete ich mich darauf vor, wie ich es ihm am besten sage und wurde dabei in mir drin hochemotional. Mir liegt die Natura 2000-Station die ich leite, die Menschen die dabei involviert sind und die Gegend hier sehr am Herzen und ich lasse das alles hier nur sehr ungern zurück. Es läuft alles so traumhaft, wir wohnen in einem einsamen Haus an einem Waldsee. Eigentlich leben wir hier einen Traum und trotzdem wollen wir das alles hinter uns lassen. Bevor ich zu meinem Chef ging, machte ich eine Kurve am Klo vorbei, um mich mit Klopapier zu versorgen, da ich nicht ausschließen konnte, dass Tränen kullern könnten.  Dann stand ich vor seiner Bürotür. Er telefonierte. Ich wartete. Er hörte nicht auf zu telefonieren. Meine schwermütige Stimmung wandelte sich in Ungeduld. Irgendwann dampfte ich mit meinem Klopapier ab und verschob es auf einen späteren Zeitpunkt. Das war auch gar nicht schlecht, denn die Gelegenheit ergab sich dann relativ spontan, ohne Klopapier, da ich eigentlich gar nicht mit der Gelegenheit gerechnet hatte, und ich konnte es dann schonend, aber weniger emotional als gedacht, loswerden. „Wir wollen auf Weltreise gehen. In unserem LKW. Und wir wollen uns nicht festlegen, wie lange.“ Er reagierte entspannt und gefasst wie immer. „Naja, bei dem Teil was ihr euch da zurechtbastelt, habe ich mir schon gedacht, dass ihr damit nicht nur an die Ostsee fahren wollt“. Wir besprachen noch kurz ein paar grundlegende Dinge. Dann klingelte sein Telefon…

Jetzt wo es raus ist, fühlt sich alles anders an. Vorher war es ein rosaroter Traum. Es würde sich bestimmt alles so leicht anfühlen. Aber es fühlt sich komisch an. Erste Zweifel kommen auf. Hoffentlich ist es die richtige Entscheidung.

5 Monate vor Abfahrt - Die Wehmut, das Haus am See aufzugeben war groß. Umso erfreulicher war die Möglichkeit, dass wir das Haus untervermieten können, um es für die Zukunft zu sichern. Und wer kommt dafür besser infrage als Jenny, das neue Mitglied der Natura 2000-Station und ihr Freund. Zum Glück waren Jenny uns Andreas begeistert und stimmten dem Plan, Untermieter zu werden, zu. Was sich heute noch wie Geschwätz anfühlt, kann morgen zur realitätsklatsche werden. Wenn ich auf meiner Couch lag und den geliebten Blick auf den Drewitzer See vor dem Waldpanorama schweifen ließ, wurde mir langsam wehmütig bewusst, dass ich hier bald nicht mehr liegen werde. Ich weiß aber zum Glück auch, dass es mir nicht mehr fehlen wird, wenn wir unterwegs sind. So war es bisher immer in den letzten drei Jahren bei unseren längeren Reisen mit unserem ehemaligen Wohnmobil, Mürbi. Wenn ich hier in Ortkrug bin, liebe ich es hier, es ist mein kleines Paradis. Aber wenn wir mit Mürbi unterwegs sind, liebe ich das Reisen so sehr und es fehlt mir an überhaupt nichts. Was Mürbi nicht her gab wurde improvisiert, kein Problem. Die kleine lauwarme Pullerdusche unter freiem Himmel ist mir dann genauso recht wie die heiße, luxuriöse Eckbadewanne mit Seeblick. Man braucht überhaupt nicht viel, um glücklich zu sein.

Nachts gehen mir viele Gedanken durch den Kopf die reichen von banalen Dingen wie „welche von meinen 100 Socken nehme ich mit und was mache ich mit denen, die ich nicht mitnehme“ bis hin zu ganz elementaren Sachen wie „Wie oft werde ich meine Familie sehen? Werde ich auf dieser Reise sterben?“. Es geht mir in letzter Zeit oft der Gedanke durch den Kopf: folge deinem Herzen. Dieser Spruch beinhaltet sehr viel. Ich glaube, es ist ganz wichtig für die mentale Gesundheit, seinem Herzen zu folgen. Aber so einfach dieser Spruch klingt, ist es oft gar nicht. Manchmal weiß man nicht mal genau, wonach das Herz wirklich strebt und muss das erstmal herausfinden. Oft ist dieser Weg auch mit Kompromissen, großen Veränderungen, Kraft und vor allem MUT verbunden.

3 Wochen vor Abreise. Wir stehen jetzt kurz vor dem Auszug. Der LKW steht bei uns zu Hause und Martin wütet von morgens bis abends daran. Es ist gerade langes Himmelfahrtswochenende und ich fühle mich wie ein Krake, die alle Dinge durch die Gegend schmeißt. Der komplette Inhalt der Schränke, alles, was wir besitzen, wirbelt durch die Gegend und will sortiert werden: LKW, Tauschhaus, Einlagerungskiste oder Müll. Aber alles muss raus. Ich fühle mich, als würde ich gerade gegen die ganze Flut aus Dingen und Aufgaben gar nicht gegen ankommen. Egal. Einfach weiter machen, irgendwann ist es so weit.

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